Seit Frühjahr 2019 wird das historische Cavazzen-Gebäude, in dem das Lindauer Stadtmuseum untergebracht war, renoviert. Deshalb mussten alle Museumsstücke in ein neu errichtetes Museumsdepot umziehen. Unsere Autorin hat sich auf die Spuren der Museumsstücke begeben und Christina Grembowicz, Sammlungsbetreuerin des Stadtmuseums, im Museumsdepot besucht.

Glücklicherweise hatte mir Christina Grembowicz die genaue Adresse vom Museumsdepot gegeben, denn sonst wäre ich wohl einfach achtlos an dem unbeschrifteten modernen Gebäude mitten im Lindauer Industriegebiet vorbeigefahren. Die schlichten schwarzen Mauern des Depots stehen im starken Kontrast zu der historischen, schillernden und bunt bemalten Fassade des Cavazzen. Das Museumsdepot ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, ich habe dennoch einen Termin erhalten.

„Komm rein!“, begrüßt mich Christina freudestrahlend. Drei Geschosse Cavazzen plus Keller und dreigeschossigem Dachstuhl lagern hier auf ca. 700qm. Bei meinem letzten Umzug musste ich meine kleine Wohnung in Kisten packen, von A nach B fahren, dort wieder aufbauen und auspacken – allein das hat mehrere herzensliebe Menschen aus meinem Umfeld und allen voran mich mehrere Tage beschäftigt. Das war allerdings nur eine kleine Wohnung und kein dreigeschossiges Museum. Damit über 6.500 Museumsobjekte umziehen können, ist der Aufwand etwas größer.

Vom Museum ins Depot

Nicht nur auf dem Weg vom Cavazzen in das Depot legen die Sammlungsstücke eine Reise zurück, auch innerhalb des Depots werden die Objekte bewegt. „Als erstes kommen die Objekte nämlich in den Quarantäneraum.“, sagt Christina und deutet auf eine weiße Tür, die von der Eingangshalle abgeht. Bei dem Wort „Quarantäneraum“ werde ich stutzig und denke an Corona-Verordnungen, Kontaktverbote und jede Menge Zeit allein zuhause zum Lesen und Serien schauen. Nein, im Quarantäneraum steht kein Fernseher, aber mit Kontaktverboten liege ich schon mal gar nicht so falsch. Museumsgegenstände können sich nämlich auch „infizieren“, und zwar mit allerhand Ungeziefer und Schimmel. So ein altes Stadtmuseum voller Möbel, historischer Textilien und voll gepackter Pappkartons ist für Holzwürmer, Motten oder Papierfischchen ein wahrer Gaumenschmaus. „Im Cavazzen konnten sich leider verschiedene Plagen ausbreiten, weil durch die schwierigen Lagerbedingungen keine Überwachung oder konsequente Bekämpfung möglich war. Auf keinen Fall wollen wir jetzt, dass die Insekten mit ins neue Museumsdepot ziehen.“ Deswegen wurde bereits vor dem Umzug der gesamte Museumsbestand einer speziellen thermischen Behandlung unterzogen. Diese tötet jegliches Leben in den Objekten ab, ohne die Objekte zu beschädigen. Jeder Neuzugang ins Depot kommt nun in dem Quarantäneraum, wo er intensiv untersucht, beobachtet und, wenn nötig, auch behandelt wird. Erst danach darf er in die geschlossenen Magazinräume ziehen. „Das muss genaustens geplant werden, damit alle Stücke im Depot geordnet beieinanderstehen und nichts zu Bruch geht.“, erklärt mir Christina. Insgesamt dauerte es 4 Monate von der ersten Planung der Umzugsdetails, bis das letzte Objekt im März 2019 durch das große Rolltor ins Museumsdepot geschoben wurde.

Blick in die Schatzkammer

Genau da führt mich Christina nun hin. Auf zwei Etagen verteilt sich die gesamte Sammlung aus dem Cavazzen. Kleinere Objekte werden in der oberen Etage gelagert, große Objekte unten. Große Objekte wie beispielsweise eine schwarze Leichenkutsche, die auf einem offenen Abschleppwagen quer durch Lindau ins Depot transportiert wurde. Jetzt steht sie im Erdgeschoss des Depots zusammen mit einem wunderschönen alten Prunkgitter, das die hohe Decke des Raumes fast berührt. „Das ist eine schmiedeeiserne Arbeit des Familiengrabes Curtabatt von 1707“, erklärt mir Christina, „Es stammt vom alten Friedhof zu Aeschach. Beim Umzug haben wir es wieder gefunden.“ Wieder gefunden?! Ich gucke ungläubig auf das große Tor, das mich in seiner Höhe bei weitem überragt. Ich habe bei meinem Umzug auch das ein oder andere Teil wieder gefunden – etwa einen Kugelschreiber oder eine alte Postkarte. So ein Museumsumzug sind nun mal andere Dimensionen. Dabei findet man dementsprechend auch Dinge in anderen Dimensionen wieder, wie zum Beispiel ein großes Prunkgitter. Das ist seinerzeit wahrscheinlich in Einzelteilen vom Aeschacher Friedhof in den Cavazzenkeller transportiert worden und geriet irgendwann in Vergessenheit. Geschichten wie diese machen deutlich, warum das Museumsdepot nötig war. Im historisch gewachsenen Museum hatte man über die Jahrzehnte das ein oder andere Sammlungsobjekt aus den Augen verloren.

Der dringend renovierungsbedürftige Cavazzen tat sein Übriges und setzte dank feuchter Wände, großer Temperaturunterschiede und unsachgemäßer Lagerung manchen Stücken übel zu. Im Museumsdepot herrschen nun ideale klimatische Bedingungen und jedes Objekt wird in Ruhe begutachtet und gegebenenfalls aufbereitet. Das passiert in der Werkstatt, dem „Herzstück des Depots“, wie Christina sie nennt. Hier hat sie genügend Platz, um die Gegenstände zu sichten, zu dokumentieren Restauratoren einzuladen. Die Werkstatt wird gut genutzt, denn viele Objekte benötigen dringend Aufmerksamkeit und zum Teil eine arbeitsaufwendige und kostspielige konservatorische Pflege. Die Restaurierung des Prunkgitters vom Aeschacher Friedhof ist bereits abgeschlossen.

Ausstellungen auf Lager

Während wir so durch das Depot schlendern, vorbei an bunt bemalten Schützenscheiben, Staturen, Möbelstücken und Musikautomaten frage ich Christina, wie es mit dem Museumsdepot weitergeht, wenn der Cavazzen Ende 2023 voraussichtlich wieder eröffnet. „Dann wird es hier leerer, aber nicht leer! Alle Objekte können im Cavazzen gar nicht adäquat präsentiert werden, dafür ist das große Stadtmuseum tatsächlich zu klein.“, erklärt Christina. Deswegen wird es im neuen Stadtmuseum eine Dauerausstellung zur Stadtgeschichte geben, aber auch wechselnde Sonderausstellungen, in denen die unterschiedlichsten Dinge aus dem Museumsdepot temporär ausgestellt werden. Das gut sortierte Museumsdepot macht eine moderne und attraktive Ausstellungsgestaltung erst möglich.

Dank des Depots hat Christina einen Überblick über alle Objekte, die Sammlung ist gut geordnet, gepflegt und griffbereit – zumindest fast griffbereit, denn wenige Umzugskartons liegen noch vollgepackt in den Regalen. Oh ja, die ein oder andere Kiste stand in meiner neuen Wohnung auch etwas länger.