Früher beförderten die Bodensee-Fähren nicht nur Menschen, Fahrräder und Autos, sondern ganze Züge: Mit dem 150. Jubiläum des Trajektverkehrs jährt sich im Jahr 2019 ein wichtiges Stück Bodensee-Transportgeschichte.

Der Bodensee hat eine Uferlänge von 273 Kilometern – ihn zu umrunden dauert bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h circa fünfeinhalb Stunden. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Menschen schon immer ein großes Interesse daran hatten, die kürzere Verbindung zu nutzen – und zwar direkt übers Wasser statt drum herum.

Das Jahr 1869 markiert in Sachen Mobilität gleich zwei wichtige Meilensteine am Bodensee. Zum einen wurde in diesem Jahr die erste Eisenbahnverbindung in Längsrichtung zum See eröffnet. Entlang des Südufers verband die eidgenössische Seelinie nun die schweizerischen Orte Romanshorn und Rorschach. Und auch auf dem Wasser wurden neue Verbindungen geschaffen: Mit dem sogenannten Trajektbetrieb – einer Eisenbahn-Fährverbindung – wurden Romanshorn und Friedrichshafen sowie Romanshorn und Lindau bedient.

Bereits in den 1830er Jahren brachten die ersten Dampfschiffe Gäste vom einen Ufer ans andere – die Basis für den Transport von Menschen und Stückgut war also geschaffen. Doch mit den Eisenbahnen, die die Region um 1850 erreichten, gelangten auch große und schwere Güter immer schneller an den See. In den Endbahnhöfen der Uferstädte mussten die Waren dann mühsam auf Dampfschiffe oder Güterschleppboote verladen werden – und auf der anderen Seite wieder gelöscht werden. Das aufwändige Verfahren ließ eine Idee in der Region reifen: Warum sollte man die Container mühsam vom Eisenbahnwaggon aufs Schiff verladen, wenn man doch einfach den ganzen Waggon per Schiff transportieren könnte? Aus der Idee wurde ein Projekt: Man begann, Fähren mit Gleisen auszustatten. Über eine Brücke, welche sich je nach Wasserstand absenken oder anheben ließ, wurden die Waggons dann komplett auf das Schiff geladen. Die Lok durfte aus Gewichtsgründen nicht mit drauf – der Zug wurde also mit Hilfe einiger leerer Waggons, welche dann wieder abgekuppelt wurden, auf das Schiff geschoben. Im Jahr 1869 wurden die ersten Eisenbahnfähren zu Wasser gelassen – der Trajektverkehr war geboren.

Trajektverkehr war ein wichtiger Meilenstein in der Transportgeschichte

Zwischen dem bayerischen Lindau und Romanshorn in der Schweiz fuhren zunächst Trajektfähren ohne eigenen Antrieb hin und her. Auf ihren zwei parallel verlegten Gleisen hatten insgesamt 16 Waggons Platz. Um den See zu queren, mussten diese Kähne geschleppt werden – entweder durch eigens eingesetzte Schleppdampfer oder Kursschiffe, die sowieso auf der Strecke unterwegs waren. Im baden-württembergischen Friedrichshafen war man schon einen Schritt weiter: Hier lief im selben Jahr die erste Trajektfähre mit Eigenantrieb vom Stapel. Der Raddampfer beförderte schon in seinem ersten Betriebsjahr rund 12.200 Güterwagen. Allerdings verbrauchte er auch gigantische Mengen an Treibstoff: Rund 700 Kilogramm Kohle wurden für eine einzige Seeüberquerung verbraucht. Fünf Jahre später, im Jahr 1874, schickte auch die Königlich Bayerische Staatseisenbahn ein Dampftrajekt auf den See: Zwischen Lindau und Romanshorn war nun ebenfalls ein Schiff mit Eigenantrieb unterwegs. Fortan fuhren regelmäßig Eisenbahnfähren über den See, das Streckennetz wurde kontinuierlich ausgebaut. Beladen waren die meisten Waggons mit Getreide, Obst, Holz oder Stückgut. Der Warentransport florierte und stärkte die regionale Wirtschaft – unter anderem auch deshalb, weil damit die internationale Transportkette vom Norden in Richtung Schweiz, Italien und Südfrankreich optimiert worden war.

 

Auch an Land wurden die Verbindungen weiter verbessert

Auch die Trajektschiffe selbst entwickelten sich immer weiter: Im Jahr 1929 setzten die ersten motorgetriebenen Fähren über, auf denen dann auch schon Kraftfahrzeuge mit transportiert wurden. Die Hafenanlagen wurden weiter ausgebaut, und die Trajektbrücken ebenfalls elektrifiziert. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die Schweizerische Bundesbahn zwei moderne Motortrajekte ein, die neben Güterwagen auch Autos und Personen beförderten: 1958 wurde die Fähre „Romanshorn“ erstmals zu Wasser gelassen, 1966 die „Rorschach“.

Doch parallel zur Entwicklung auf dem Wasser wurden auch die Verbindungen an Land immer besser ausgebaut. Wirtschaftlicher als der Transport an Land war die Wasserfahrt nie gewesen – lediglich schneller und praktischer. 1976 schließlich war es soweit: Nach 107 Jahren wurde mit der Fahrt der Motorfähre „Schussen“ von Friedrichshafen nach Romanshorn der Trajektverkehr am Bodensee eingestellt. Einige Schiffe wurden zu reinen Autofähren umgebaut, die anderen wurden verschrottet. Ein verkehrshistorischer bedeutsamer Abschnitt ging zu Ende.

 

Wissenswertes & Kurioses

  • 1936 wurde etwas zu viel Gas bzw. Dampf gegeben beim Beladen: Ein mit Zucker gefüllter Güterwagen wurde zu weit auf das Schiff geschoben und fiel in den Lindauer Hafen.
  • 1963 musste der Trajektverkehr vorübergehend eingestellt werden – der Bodensee war komplett zugefroren.
  • Nachdem der Bodensee Anfang des 20. Jahrhunderts komplett von Schienen umschlossen war, wurden Kostenberechnungen zum Trajektverkehr angestellt – mit einem eindeutigen Ergebnis: Die Beförderung der Waggons per Schiff war doppelt so teuer wie die reguläre Fahrt über Land. Da die Strecke jedoch nur eingleisig ausgebaut und damit für so viel Verkehr nicht ausgelegt war, wurde der Trajektverkehr vorerst beibehalten.
  • Die Waggons per Schiff zu befördern hatte noch einen anderen, gern gesehenen Nebeneffekt: Man sparte sich die zweimalige Grenzabfertigung in Österreich und der Schweiz – und damit nicht nur Zeit, sondern auch Zollgebühren.