Unter Extremschwimmern gilt die Längsdurchquerung des Bodensees als eine der härtesten Prüfungen. Hamza Bakircioglu, ein Allgäuer mit türkischen Wurzeln, scheiterte drei Mal, ehe es ihm endlich gelang. Hier erzählt er von seinem Kampf mit den Elementen.

„Nicht ins Boot! Ich will nicht ins Boot!“ Das war mein einziger Gedanke. Ansonsten hatte ich vor allem mit dem heftigen Hustenanfall zu kämpfen, der mich jetzt schon seit fast einer halben Stunde quälte – mitten im Bodensee, kurz vor acht Uhr morgens, etwa bei Kilometer 42 meines 64 Kilometer langen Abenteuers: den Bodensee der Länge nach zu durchqueren, von Bodman bis Bregenz. Auf dem Begleitboot diskutierten meine Brüder und mein Betreuer mit dem Veranstalter darüber, wie man einen Abbruch verhindern könnte. Denn hätte man mich aus dem Wasser geholt, wäre der Versuch als gescheitert gewertet worden. Schon wieder.

Drei Mal hatte ich richtig viel Pech gehabt. Bei meinem ersten Versuch im August 2013 fühlte ich mich sehr gut – bis ich aus den Augenwinkeln entlang des Ufers immer mehr blinkende Lichter sah: Sturmwarnung! Ein Gewitter zog auf, irgendwann blitzte es, und bei Kilometer 56 mussten wir aus Sicherheitsgründen abbrechen. Im Jahr darauf schafften wir es bis Kilometer 60. Wieder gab es eine Sturmwarnung, das Hauptproblem war aber die starke Gegenströmung. Zwei Stunden lang schwamm ich in der Dunkelheit rückwärts, driftete vom Boot weg, bis man mich nicht mehr sehen konnte – zu gefährlich. Beim dritten Mal, 2015, war die Strömung so heftig, dass ich bei Kilometer 52 den linken Arm nicht mehr heben konnte. Ich hatte noch versucht, einarmig weiterzuschwimmen – aber dann mussten wir aufgeben. Jedes Mal hatte ich mich konditionell bis zum Ende gut gefühlt. Und auch heute, trotz des Hustenanfalls, glaubte ich daran, dass ich es schaffen könnte. Ich werde schwimmend in Bregenz ankommen – das hatte ich mir morgens im Strandbad in Bodman geschworen. Und das sagte ich mir auch jetzt.

Wer den Bodensee durchqueren will, muss im Freiwasser trainieren

Begonnen hatte mein Kampf mit den Elementen vier Jahre zuvor. Ich war immer schon ein begeisterter Schwimmer gewesen, war bei uns in Sonthofen Mitglied der Wasserwacht, aber wirklich »klick« machte es erst, als ich im Alter von 40 Jahren nach einer Knieoperation zwei Wochen in die Rehabilitation musste. Im Krankenhaus gab es ein schönes kleines Hallenbad, dort zog ich meine Bahnen, erst eine halbe Stunde, dann eine Stunde täglich. Ich verglich meine Zeit mit denen, die Rennen in meiner Altersklasse schwammen. Da war ich gut dabei, und so beschloss ich, im Juli 2012 bei einem Freiwasserrennen über 2,5 Kilometer mitzumachen. Auf Anhieb siegte ich in meiner Altersklasse. Kurz darauf erzählte mir ein Arbeitskollege vom 33 1/3-Stundenschwimmen in Kempten und fragte: Willst Du da nicht mitmachen? Ich machte mit, ohne Vorbereitung, und schaffte ungefähr 53 Kilometer.

In jenem Sommer hörte ich im Radio immer wieder Berichte von Versuchen, den Bodensee der Länge nach zu durchqueren. Keinem gelang es. Aber mir vielleicht? Also begann ich im September mit dem Training. Wer den Bodensee durchqueren will, muss im Freiwasser trainieren, nicht zuletzt, um sich an die Kälte zu gewöhnen. Er muss lange Strecken trainieren. Und er muss sich an die Dunkelheit gewöhnen. Vor meinem ersten Versuch hat mich das »Wonnemar« in Sonthofen sehr unterstützt. Das Bad schließt um 22 Uhr abends, und ich durfte dann bis zum nächsten Morgen meine Kilometer abspulen: vier Mal die volle Distanz, vier Mal die halbe.

 

Strenge Regelungen für die Bodenseequerung

Dass vor meinem ersten Versuch der Weltmeister Christof Wandratsch die Längsquerung geschafft hatte, machte mir nicht viel aus. Klar, auch ich hätte das scheinbar Unmögliche gerne als Erster möglich gemacht, aber vor allem wollte ich ja mir selbst beweisen, dass ich es kann. Das war auch meine Einstellung am Morgen des 16. Juli 2016, am Tag meines vierten Versuchs. Obwohl die Vorzeichen wieder einmal schlecht standen: Nur 16,3 Grad hatte der Bodensee um 11 Uhr – ziemlich frisch für einen Hochsommertag. Wie lange könnte ich das wohl durchhalten? Zum Glück erwärmte sich das Wasser nach ein paar Stunden. Dafür aber frischte der Wind auf. Ich hätte natürlich auch in einem Neoprenanzug schwimmen könne, doch für uns Langstreckenschwimmer zählen nur Versuche ohne Anzug.

Auch sonst sind die Regeln bei der Bodenseequerung streng: So darf man das Boot nicht berühren. In den Pausen, die es alle 30 Minuten gibt, wird die Trinkflasche am Seil gereicht. Meistens sind es Kohlenhydratdrinks, morgens auch mal Kaffee und abends Tee – gegen die Kälte. Ansonsten ernährt sich jeder auf seine Weise. Ich bevorzuge Birnen, Äpfel, Bananen und Kartoffeln und Power Gels natürlich. Doch nachdem ich in der Nacht Stunden um Stunden gegen die wieder einmal starke Strömung gekämpft hatte, hatte ich am Morgen Heißhunger. Ob Brezeln oder  Weinblätter: Ich stopfte alles in mich hinein. Dabei verschluckte ich mich – und deshalb stand das Rennen jetzt kurz vor dem Abbruch. Doch meine Begleiter handelten einen Deal aus: Ich würde ganz langsam und ganz nah am Boot weiterschwimmen, und bei ernsthafter Gefahr würde man mich sofort aus dem Wasser holen. Dieses Mal hatte ich Glück. Der Hustenanfall ging vorüber, und kurz hinter Lindau half mir Rückenwind. Mit knapp drei Kilometern pro Stunde schwamm ich den letzten Abschnitt, um 17:48 Uhr erreichte ich das Bregenzer Ufer. Nach 30 Stunden und 44 Minuten.

Dunkelheit, Kälte und Wellen sind Herausforderungen

Man darf sich jetzt aber keine große Jubelpose vorstellen: Ich hatte die meiste Zeit in der Waagerechten verbracht. Um Kreislaufprobleme zu vermeiden, kletterte ich langsam und auf wackeligen Beinen aus dem Wasser, bis ich irgendwann die Arme hochnehmen konnte. Danach fuhren wir sehr bald nach Hause, und ich schlief bis zum nächsten Morgen. Wenn man mich nach den größten Unterschieden zwischen dem ganz normalen Baden und dem Extremschwimmen fragt, dann sind es zum einen die kleinen, kurzen Wellen in der Seemitte. Ständig klatschen sie einem beim Kraulen gegen die Arme. Das ist auf die Dauer sehr anstrengend – abgesehen von der Strömung. Und dann ist da die Dunkelheit. Normalerweise ist das Begleitboot ja immer ganz in der Nähe, nur manchmal muss der Fahrer auskuppeln, um das Getriebe zu schonen, und danach eine große Runde drehen. Nachts ist man in solchen Momenten dann plötzlich völlig allein, ringsherum alles schwarz und still. Dann fühlt man sich wie ein Schiffbrüchiger im Meer.

Aber das sind nur Momente. Ich war schon knapp einen Monat nach meiner Durchquerung wieder im Bodensee. Ein Stuttgarter Journalist, der für ein Buchprojekt alle deutschen Seen durchschwimmen wollte, hatte mich gebeten, ihn zu begleiten – 20 Kilometer, einfach so.

Bodensee-Längsquerungen
ca. 64 Kilometer zwischen Bodman und Bregenz
Erstquerung am 22.07.2013 durch Christof Wandratsch in 20:41 h

Bodensee-Dreiländerquerungen
ca. 38 Kilometer zwischen Lindau – Rorschach – Bregenz
Erstquerung am 28.07.2014 durch Mirjam Schall in 14:37 h

Bodensee-Breitenquerungen
ca. 12 Kilometer zwischen Friedrichshafen und Romanshorn
Erstquerung am 24.05.2012 durch Bruno Dobelmann in 4:58 h