Von zittrig-schwer zu schwebend-leicht in einer halben Stunde: Das erste Mal Stand-up-Paddeln auf dem Bodensee

Bisher hat unsere Autorin den Stehpaddlern immer nur fasziniert zugeschaut, wenn sie elegant und scheinbar mühelos über den Bodensee glitten. Dann erwachte der Sportsgeist in ihr – die Zeit war reif für einen Selbstversuch. Hier ihr Erfahrungsbericht aus dem Lindi Bodensee

Nun ist es also soweit – in wenigen Minuten werde auch ich aufrecht auf einem Board stehen und das Paddel mit gleichmäßig kräftigen Zügen durch das Wasser ziehen. Während viele Muskeln meines Körpers effektiv trainiert werden, kann der Geist entspannen. Ich werde die Landschaft um mich herum aus einem neuen Blickwinkel wahrnehmen, abschalten und genießen. Soweit die Theorie. In der Praxis muss ich erst mal unterschreiben: dass ich schwimmen kann, dass ich niemandem im Badebereich das Paddel über den Kopf ziehe, und dass ich bei Sturmwarnung sofort zurück komme. Auch dass ich mich nicht mit Linienschiffen anlege, verspreche ich – im eigenen Interesse. Dann folgt die Einweisung für Paddel („Setz das Paddel möglichst senkrecht ins Wasser ein, dann kommst du am besten voran.“) und Brett („Vorne und hinten nicht verwechseln, sonst wird’s schwierig.“).

Das knapp drei Meter lange Board aus Polyethylen wiegt rund acht Kilo – ich bin mir nicht sicher, ob ich die wenigen Meter zum See hinab so cool aussehe, wie man es von Surfern kennt, die ihr Sportgerät den Strand entlang tragen. Doch bald nimmt mir das Wasser die Last ab. Sobald die Finne nicht mehr auf den Steinen entlang schrammt, darf ich aufsteigen und die ersten paar Meter im Knien absolvieren. Das klappt ganz gut, von gelegentlichen Wacklern lasse ich mich nicht irritieren. Mutig wage ich mich an den nächsten Schritt: aufstehen, Gleichgewicht finden, weiterpaddeln.

Theorie und Praxis sind zwei unterschiedliche Dinge…

Und schon macht mein Körper andere Dinge, als ihm der Geist befiehlt. Anstatt stabil zu stehen, vollführen meine Beine einen lustigen Zittertanz, um den mich jeder Bodensee-Aal beneiden würde. Ich erinnere mich an die Empfehlung, leicht in die Knie zu gehen, um besser balancieren zu können – und meine Oberschenkel erinnern mich daran, dass ich schon lange keinen Sport mehr gemacht habe. Egal, weiter. Stehen, paddeln und nicht fallen. Fünf Schläge links, zwei rechts, Augen aufs Brett und das Wasser rundum. Ich halte mich wacker – bis ich plötzlich vor mir einen Kopf auftauchen sehe. „Bitte seien sie vorsichtig, ich übe noch“, rufe ich dem Schwimmer zu, mit einem gütigen Lächeln bringt er sich in Sicherheit. Mir fällt ein, dass ich ja auch die Umgebung genießen soll – ich schaue hoch und die Wackelpartie beginnt von vorne. Dann eben wieder nach unten, Schlingpflanzen sind ja auch ganz hübsch anzusehen. Und da, ein kleiner Fischschwarm…

Für Gruppen werden Kurse angeboten, in denen die wichtigsten Kenntnisse vermittelt werden. Wer ohne ausführliche Anleitung aufs Wasser will, kann sich ein Board ausleihen. Zur Auswahl stehen Bretter aus Polyethylen (schwerer, dafür stabiler) oder die aufblasbare Variante (leichter, aber bei Wellen nicht ganz so stabil). © Hari Pulko

Durchatmen, Kopf abschalten, Spaß haben

Ich beschließe, ein Päuschen zu machen. Hinsetzen, runterkommen, die Lage sichten. Der See liegt fast spiegelglatt da, die Abendsonne färbt das Wasser blaugoldgelb. In der Ferne schiebt sich ein Kursschiff um die Bucht herum, leichter Wind weht das Lachen spielender Kinder vom Ufer herüber. Ansonsten ist es still. Und nach einigen Minuten dahindümpelndem Nichtstun werde auch ich ruhiger. Die Anspannung fällt von mir (und meinen Muskeln) ab, ich richte mich wieder auf. Und plötzlich stehe ich, ohne zu wackeln. Ich tauche das Paddel ein, ohne zu denken. Ich schaue in die Ferne, ohne zu schwanken. Ich gleite mühelos dahin – und es fühlt sich großartig an. Auf einmal ist alles keine Anstrengung mehr, sondern passiert einfach.

Automatisch setze ich das Paddel auf der richtigen Seite, sehe ich die Villen am Seeufer und die Schweizer Berge in der Ferne. Ich fahre geradeaus in Richtung Sonne, mal schneller, mal in Zeitlupentempo. Ich bremse und drehe kleine Kreise, einfach weil ich es kann. „Es ist so schön“, jubelt es in meinem Kopf, und weil mich niemand hören kann, juchze ich es laut vor mich hin. Und bei der Rückkehr an Land direkt wieder: „Es war so schön, ich will nochmal!“ Die Menschen am Ufer schauen mich amüsiert an, und es ist mir egal. Ich bin tiefenentspannt, ich bin voller Glücksgegluckere, ich bin süchtig. Und kein einziges Mal reingefallen.

Sport – oder Genuss-Paddeln – erlaubt ist, was Spaß macht

In Europa ist das Stand-up-Paddeln (SUP) vor allem in Binnengewässern, aber auch auf Flussarmen verbreitet. Am Bodensee ist der Hype um den trendigen Wassersport ungebrochen, berichtet Christian Bentele von der Badestelle Lindenhof „In den vergangenen vier Jahren waren unsere Boards den ganzen Sommer über ständig im Einsatz.“ Ganz Mutige wagen sich bereits im April mit Neoprenanzug auf das Wasser, je nach Witterung kann bis Anfang Oktober gepaddelt werden.

„Paddeln darf jeder, der schwimmen kann“, so SUP-Guide Christian, „auch Kinder dürfen mit Schwimmweste aufs Brett.“ Das Paddeln in aufrechter Position trainiert nicht nur die Arme und Beine, durch das Ausbalancieren werden auch der Rumpf sowie die Knie- und Fußgelenke stabilisiert. Je nachdem, wie intensiv man es betreibt, ist das SUPen ein gutes Ganzkörpertraining mit sehr geringem Verletzungsrisiko. Für Einheimische gibt es im Lindi Bodensee eine Flatrate für die gesamte Saison, und auch Touristen, die eigentlich nur mal probieren wollten, kommen oftmals für eine zweite Runde wieder. „Es ist natürlich toll, das Ufer auch mal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Vom Wasser aus hat man einen wunderbaren Blick auf die Bayerische Riviera und die Villen dort“, so Christian Bentele. „Ob man nun sportlich einmal die Insel umrundet, gemütlich in den Sonnenuntergang paddelt oder sich einfach nur übers Wasser treiben lässt, ist jedem selbst überlassen.“